Am 10. Mai 1951 konnte das neue Goethe-Haus in der Anwesenheit von prominenten Gästen wiedereröffnet werden. Der Bundespräsident und Ehrenschirmherr des Freien Deutschen Hochstifts Theodor Heuss, und die drei Hohen Kommissare John McCloy, Sir Ivone Kirkpatrick und André François-Poncet waren neben Oberbürgermeister Walter Kolb und Georg Hartmann, dem Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses des Freien Deutschen Hochstifts, anwesend.
Theodor Heuss, Ernst Beutler, Walter Kolb, John J. McCloy (v. l.) zur Einweihung am 10. Mai 1951 im Goethe-Haus © Freies Deutsches Hochstift
Frankfurts Gabe an die Welt
Zur Wiedereröffnung des Frankfurter Goethe-Hauses erschien noch einmal ein Artikel, in dem Beutler die Argumente für den originalgetreuen Wiederaufbau noch einmal zusammenfasst: „Vermutlich wird das Haus im Frühjahr 1951 wieder zu besichtigen sein. […] Was hätte man mit diesem ehrwürdigen Hausrat anderes tun können, als ihm eben den Rahmen wieder geben, von dem er einstmals umfangen gewesen war? Ein modernes Museum bauen und dann vor eine weiße Wand einen Rokokostuhl stellen mit der Aufschrift: ‚Dieser Stuhl stand im Zimmer des Kaiserlichen Rates rechts neben dem Fenster‘. – wem hätte das Freude gemacht? Nur in ihrem ursprünglichen Zusammenklang haben ja alle diese Gegenstände ihren Sinn.“
Ernst Beutler (1885 – 1960): Frankfurts Gabe an die Welt. In: Der Siebente Tag. Wochenbeilage der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 1./2. Juni 1950. © Freies Deutsches Hochstift
Frankfurter Goethe-Haus, Juni 1950
Im Vordergrund sieht man noch Trümmer und Baracken, die zu diesem Zeitpunkt noch das Stadtbild prägten. Auch im Großen Hirschgraben war das Goethe-Haus das einzige Gebäude, das zu diesem Zeitpunkt fertig stand. Auch die Arbeiten am Haus waren schwierig. Im Mai 1950 schreibt Beutler an Hesse: „Aus dem Böhmischen und Bayrischen Wald sind die Kisten unterwegs, die das Fensterglas bringen, genau so, wie das Glas im 18. Jahrhundert war.“ Für das Eindecken des Schieferdaches benötigte man sieben Monate, da nur ein einziger Meister die alte Technik beherrschte, ein geschwungenes Barockdach einzudecken. Zum Bearbeiten des roten Mainsandsteins für die Treppen, Kamine und Simse musste der 72jähriger Steinmetz Josef Kehl aus dem Ruhestand zurück an die Baustelle geholt werden, weil er der einzige war, der die Steine in der alten Weise bearbeiten und die fehlenden Teile in mühevoller Arbeit originalgetreu nachbilden konnte.
Das Frankfurter Goethe-Haus, Juni 1950 von der heutigen Berliner Straße aus betrachtet © Freies Deutsches Hochstift, Foto: Christian Fahrenholtz
Ernst Beutler und Theo Kellner, März 1951
Bevor am 10. Mai 1951 die offizielle Feierlichkeit zur Wiedereröffnung stattfand, hatte der Architekt Theo Kellner (li.) das fertiggestellte Goethe-Haus am 22. März 1951, genau 7 Jahre nach der Zerstörung, der Verwaltung des Freien Deutschen Hochstifts in einer kleinen, feierlichen Zeremonie übergeben. Das Foto zeigt den Architekten mit Ernst Beutler (re.) vor diesem Termin.
Ernst Beutler (1885 – 1960) und der Architekt Theo Kellner (1899 – 1969) vor dem Frankfurter Goethe-Haus, März 1951 © Freies Deutsches Hochstift
Theodor Heuss und Walter Kolb
Theodor Heuss und Walter Kolb beim Verlassen des Frankfurter Goethe-Hauses © Freies Deutsches Hochstift
Theodor Heuss
In seiner Ansprache erklärte der Bundespräsident die alte Debatte für beendet: „Das Haus steht da, die Leistung spricht und wirbt für sich selber“. Er berichtet von seinem ersten Besuch in Goethes Elternhaus im Jahr 1901, das ihm „wie ein lebendiges Bilderbuch“ zu den ersten Kapiteln von ‚Dichtung und Wahrheit‘ in Erinnerung geblieben sei. Heuss bekannte sich zu der „doppelten Pflicht“, am Großen Hirschgraben in Frankfurt am Main wieder den Ort für eine „in sich sicher ruhende Goethe-Forschung« und Goethe-Pflege zu schaffen“.
Theodor Heuss spricht im Seekatzsaal am 10. Mai 1951 © Freies Deutsches Hochstift
Im Dichterzimmer
Die Anwesenheit des Bundespräsidenten und der drei Hohen Kommissare der Alliierten sorgte dafür, dass das Ereignis national und international Beachtung fand.
Theodor Heuss, André François-Poncet, John McCloy und Walter Kolb im Dichterzimmer © Freies Deutsches Hochstift
Rundschreiben an die Mitglieder, September 1951
Der Rundbrief, der bis 1962 noch das Jahrbuch ersetzte verzeichnet in einem ersten Teil die Neuerwerbungen und die Arbeit des Hochstifts. Ein zweiter Teil (S. 25-47) berichtet über das Frankfurter Goethe-Haus, seine Zimmer und Objekte sowie über die Besonderheiten des originalgetreuen Wiederaufbaus. Darin heißt es: „Am Großen Hirschgraben steht wieder das Goethehaus. […] innerhalb von zwanzig Wochen haben bereits 65.785 zahlende Besucher die alte Schwelle wieder überschritten. Mit dieser Ziffer ist es, nach dem Deutschen Museum in München, das besuchteste Museum in Deutschland geworden.“
Achtes Rundschreiben an die Mitglieder, Frankfurt am Main, September 1951 © Freies Deutsches Hochstift
Karl Korn an Ernst Beutler, 25. Januar 1951
Als sich Karl Korn, Mitherausgeber und Leiter des Feuilletons der F.A.Z., kurz vor der Eröffnung des Frankfurter Goethe-Hauses kritisch zur „künstlichen Patina“ des Goethe-Hauses und dessen Inhalt äußert, stellt ihm Beutler eindringlich seine Idee des neuen, alten Goethe-Hauses vor. Er erinnert noch einmal daran, dass schon die Nazis die Trümmerstätte als Anklage gegen die Feindmächte ohne Haus belassen wollten. Seine Vision, mitten im Kalten Krieg, ist eine andere: „Wir brauchen keine Anklage […]. Wir brauchen Völkerverständigung, wir brauchen Frieden! Als Haus des Friedens wollte ich das Goethehaus wiedererstehen lassen.“
Schlussprotokoll zur Feier des wiedererstandenen Hauses
Am Tag nach der Eröffnungsfeier verfassten die beiden Ehrenmitglieder des Freien Deutschen Hochstifts, Hans Carossa und Rudolf Alexander Schröder, im Gästebuch Ernst Beutlers ihr dichterisches „Schlussprotokoll“.
Ernst Beutler (1885 – 1960), Hans (1878 – 1956) und Hedwig Carossa (1895 – 1956), Rudolf Alexander Schröder (1878 – 1962) : Schlussprotokoll zur Feier des wiedererstandenen Hauses am Hirschgraben © Freies Deutsches Hochstift
Broschüre zur Einweihung
Broschüre zur Einweihung des Goethe-Hauses am 10. Mai 1951 Deutsch / Englisch © Freies Deutsches Hochstift
Heinz Friedrich: Das Haus am Hirschgraben
Heinz Friedrich (1922 – 2004): Das Haus am Hirschgraben. In: Die Zeit vom 17. Mai 1951
Der Redakteur und spätere Verleger Heinz Friedrich kam in der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ auf den alten Streit zurück und resümiert: „In der Umgebung des Hauses flutet der Verkehr. Architektonisch kalte Geschäftshäuser werden hochgeführt. Die Altstadt liegt in Trümmern. Alles Tun dieser Stadt scheint auf Zweck, auf Profit gerichtet. Inmitten dieser Geschäftigkeit wirkt das Goethehaus wie ein Refugium. Der Schritt über die Schwelle ist der Schritt in eine völlig andere Welt. Hier ist der Alltag aufgehoben. Hier umfängt uns die heitere, harmonische Atmosphäre einer freien Menschlichkeit. Wir sind Professor Beutler und seinen Freunden großen Dank schuldig.“
© Freies Deutsches Hochstift
Goethe’s Birthplace – Dedication of rebuilt House
Schon die Zerstörung des Frankfurter Goethe-Hauses und den Beginn der Wiederaufbauarbeiten hatten viele internationale Zeitungen vermeldet. Teilweise war sogar der ‚Aufruf‘ des Hochstifts verbreitet und zu Spenden aufgerufen worden. Vor allem in den U.S.A. wurde in der Presse in regelmäßigen Abständen über die Fortschritte des originalgetreuen Wiederaufbaus geschrieben. Über die Wiedereröffnung am 10. Mai 1951 berichteten daher nicht allein die nationale Presse und die Deutsche Wochenschau, sondern auch Zeitungen aus Brasilien, Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, den U.S.A. und, wie hier, die ‚Times' aus London.
Goethe’s Birthplace – Dedication of rebuilt House In: Times, London, 11. 05. 1951 © Freies Deutsches Hochstift
Thomas Mann an Ernst Beutler, 3. April 1951
Beutler hatte Thomas Mann, seit 1932 Stiftsherr des Freien Deutschen Hochstifts, über die bevorstehende Wiedereröffnung informiert und ihn zur offiziellen Feier eingeladen. Der Dichter musste absagen, bedankt sich aber mit den Worten: „Aber nehmen Sie denn und ganz Frankfurt, ganz Deutschland meine herzlichen Glückwünsche zu dem Ereignis! Ich stelle Sie voran, weil es ohne Ihren festhaltenden Willen und Enthusiasmus kaum Ereignis geworden wäre. Im Übrigen – was kann man Besseres wünschen, als daß im deutschen Volk der Geist seines besten Sohnes, dieses Fürsten des Friedens und der Gesittung, immer fester und tiefer Wurzel schlagen möge.“